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Die „Verkehrswende“ in Bielefeld: Ein Projekt ohne roten Faden

„So viele Autos wie noch nie in der Stadt“, so war es kürzlich  in der Presse zu lesen.
Eigentlich nichts Neues, denn In Bielefeld ist schon immer ein kontinuierlicher Anstieg der Anzahl zugelassener Kraftfahrzeuge zu verzeichnen. Wie kann das sein in einer Zeit, in der das Wort Verkehrswende in aller Munde ist und viele Anstrengungen unternommen werden, das ehrgeizige politische Ziel einer Halbierung des Kraftfahrzeugverkehrs zu erreichen? Warum führt die „Premiummaßnahme Umbau Jahnplatz“ (derzeit baustellenbedingt sogar völlig ohne Durchgangsverkehr), nicht zur Abnahme der Nutzung des eigenen Kraftfahrzeugs? Wenn man kritisch hinterfragt, was in Bielefeld in Bezug auf Stadt- und Verkehrsentwicklung passiert, ist eine Antwort schnell gefunden. Es wird zu kurz gedacht und es muss mehr geschehen, sehr viel mehr und zwar nicht nur bezüglich konkreter Maßnahmen, sondern insbesondere in organisatorischer und auch kommunikativer Hinsicht. Auch scheint der Begriff Verkehrswende in vielen Köpfen noch nicht fest genug verankert zu sein oder aber es bestehen völlig falsche Vorstellungen, wie sie zu erreichen ist.

Unbestritten gibt es diverse Maßnahmen, die irgendwie „auf das Konto Verkehrswende einzahlen“. Letztlich ist es aber eine Aneinanderreihung von Maßnahmen, die – wenn überhaupt – bezüglich einer Verlagerung von Kraftfahrzeugverkehr auf Verkehrsmittel des Umweltverbunds nur Wirkungen im Prozentbereich zeigen. Nur zwei Beispiele: So sinnvoll der in Sennestadt angebotene und mit rund 50 täglichen Fahrgästen als großer Erfolg betitelte sogenannte „on-demand-Verkehr“ (Anton) auch ist, angesichts von gut einer Millionen Wegen, die an einem normalen Werktag in Bielefeld zurückgelegt werden, ist die gesamtstädtische Wirkung gleich null. Etwas anders verhält es sich sicherlich bei Stadtbahnerweiterungen, aber selbst bei optimistischer Annahme, dass durch eine Stadtbahnverlängerung nach Sennestadt täglich 10 000 Fahrten vom Auto auf den ÖPNV verlagert werden, bedeutet das für die Gesamtstadt gerade einmal eine Veränderung bei der Verkehrsmittelaufteilung von knapp einem Prozent. Das bedeutet ganz und gar nicht, dass darauf verzichtet werden soll. Ganz im Gegenteil, es müssen personelle Kapazitäten geschaffen werden, damit es schneller geht und damit an mehreren anderen Stellen in der Stadt parallel geplant werden kann.

Vom Leihfahrrad bis zum
„Abpollern“ der Altstadt

Es mangelt sicherlich nicht an diversen Einzelmaßnahmen und Ideen vom Leihfahrrad über das
„Abpollern“ der Altstadt bis zur Seilbahn. Was allerdings bei all den Aktivitäten nicht erkennbar ist, ist ein roter Faden. Man „stolpert“ von Maßnahme zu Maßnahme, von Gutachten zu Gutachten und von Prüfauftrag zu Prüfauftrag und verfängt sich dabei in Details und sektoralen Handlungsansätzen, anstatt wirkliche Strategien und ganzheitliche Konzepte zu entwickeln. Mit dem sogenannten SUMP (sustainable urban mobility plan, was so etwas heißt wie nachhaltiger städtischer Mobilitätsplan), ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht worden, aber dieses Werk muss jetzt weiterentwickelt werden und zwar strategisch und nicht nur in Form einzelner Fachgutachten, deren Harmonisierung ohne faule Kompromisse kaum möglich sein wird. Integrierte Verkehrsplanung kann so nicht funktionieren.

Catterick-Neuplanung:
Stadtbahn falsch angebunden

Verkehrswende hat aber nicht nur mit dem Verkehr als solches zu tun. Sie beginnt eigentlich schon bei der Stadtentwicklung ganz allgemein. Bereits hier werden die Weichen gestellt für das Verkehrsverhalten der Menschen. Ein aktuelles Beispiel ist die geplante Konversion der Catterick-Kaserne. Positiv an den bisherigen Überlegungen ist die Tatsache, dass überhaupt an die Stadtbahn gedacht wurde. Die einzige Haltestelle befindet sich nach dem veröffentlichten Strukturplan allerdings in Randlage an der vielbefahrenen Detmolder Straße und erschließt damit nur kleine Teile des großen Geländes, während sich die Wohnbereiche bis an den Lipper Hellweg erstrecken. Wer dort wohnt und mit der Stadtbahn fahren möchte, besteigt die Bahn, wenn die Nachbarn mit ihrem Auto bereits die Innenstadt erreicht haben.

Rahmenbedingungen widersprechen
Konzept der „Verkehrswende“

Derartige Rahmenbedingungen stehen in krassem Widerspruch zu den Zielen einer Verkehrswende. Dabei gibt es durchaus gute Beispiele, in denen ganz andere Ansätze verfolgt wurden. Die Stadt Freiburg ist bei der Konversion ihrer Kasernengelände einen anderen, sehr erfolgreichen Weg gegangen. Hier ist die Straßenbahn integraler Bestandteil der Konversionsflächen und liegt in den zentralen Erschließungsachsen, während Kraftfahrzeuge in Parkhäusern am Rand untergebracht sind. Durch die vorübergehende Nutzung des Kasernengeländes durch die Bundespolizei ist Zeit gewonnen, um die grundsätzlichen Planungsansätze noch einmal zu überdenken, intensiv zu diskutieren und politisch abzusegnen, bevor der Schritt zu den sicherlich wichtigen Architektenwettbewerben gemacht wird.

Blick über den Zaun nach Freiburg:
Vorbild Vauban-Viertel

Übrigens sind die Erfolge in Freiburg neben dem politischen Willen auch der gut aufgestellten
Verwaltung in Form eines leistungsfähigen, interdisziplinär besetzten Planungsamts zu verdanken. Auch in dieser Hinsicht lohnt sich sicherlich ein Blick über den Zaun.

 

Dirk Artschwager

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